Veranstaltung: | 52. Landesparteitag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt |
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Tagesordnungspunkt: | 6 Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Soziales, Gesundheit & Arbeitsmarkt (dort beschlossen am: 24.04.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 27.04.2025, 16:54 |
A4: Inklusive Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt
Antragstext
Nur ca. 57 % der Arzt- und Psychotherapiepraxen in Sachsen-Anhalt sind
barrierefrei zugänglich (Stand 2022). Dabei sehen sowohl § 17 Abs. 1 SGB I als
auch Art. 9 der UN-Behindertenrechtskonvention die Erbringung medizinischer
Leistungen in Einrichtungen vor, die für alle Menschen zugänglich sind. Daher
sind Apotheken, ärztliche, psychotherapeutische und zahnärztliche Praxen sowie
Krankenhäuser verpflichtend barrierefrei zu gestalten. Dies umfasst sowohl die
physische Barrierefreiheit, z.B. durch Fahrstühle, taktile Leitsysteme sowie
barrierefreie Toiletten, als auch die kommunikative Barrierefreiheit durch
barrierefreie Internetseiten sowie Personal, das entsprechend kommunizieren kann
bzw. spezifisch für die Betreuung von Menschen mit kognitiven und/oder
Mehrfachbehinderungen ausgebildet ist. Ziel ist, dass jede medizinische
Einrichtung über Personal verfügt, das entsprechend ausgebildet ist. Zudem gilt
es, beim Personal medizinischer, therapeutischer, pharmazeutischer,
pädagogischer, pflegerischer und sozialer Einrichtungen ein Bewusstsein für
Menschen mit Behinderung zu schärfen, um Diskriminierung vorzubeugen und die
Qualität der Betreuung bzw. Behandlung zu verbessern.
Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB) stellen
ein ambulantes Versorgungsangebot für Erwachsene mit geistiger Behinderung
und/oder schwerer Mehrfachbehinderung dar. Dort werden spezifischere
Untersuchungsmöglichkeiten und mehr Zeit zur Diagnosestellung ermöglicht. Jedoch
werden die Bedarfe der MZEB nicht vollständig durch die zuständigen
Leistungsträger abgedeckt. Dafür ist das Land in Verantwortung zu nehmen. Zudem
ist zu prüfen, ob die Anzahl der MZEB in Sachsen-Anhalt ausreichend ist, um dem
Bedarf nachkommen zu können. Es muss sichergestellt werden, dass alle MZEB
gynäkologische, psychiatrische, psychotherapeutische und zahnmedizinische
Behandlungsangebote machen können.
Doch die medizinische Versorgung von Menschen mit Behinderung beginnt bereits im
Kindes- und Jugendalter. Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) sind ambulante
medizinische Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die interdisziplinär
agieren. Dort werden Kinder und Jugendliche, bei denen eine Behinderung oder
Erkrankung bzw. Verdacht auf eine Erkrankung besteht, die zu Behinderungen
führen können, untersucht, betreut und behandelt. Sozialpädiatrische Zentren
agieren ergänzend zu Kinderärzt*innen und Interdisziplinären
Frühförderungsstellen (IFF), die gesellschaftliche Teilhabe von Kindern mit
Behinderungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen ermöglichen. Da die Prävalenz
von Kindern und Jugendlichen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen u.a. aufgrund
verbesserter Diagnostik in den letzten Jahren gestiegen ist, ist auch hier zu
prüfen, ob die aktuelle Infrastruktur von SPZ und IFF in Sachsen-Anhalt
weiterhin dem Bedarf entspricht. Weitere Schlüsselrollen in der
Gesundheitsförderung aller Kinder und Jugendlichen kommen Kindertagesstätten und
Schulen zu, weshalb diese dort gestärkt werden muss.
Zu beachten ist, dass der Auf- und Ausbau von Angeboten zur
Gesundheitsversorgung für Menschen mit Behinderung nicht zu einem weiteren
Parallelsystem führen. Inklusion im Sinne eines Einbezugs von Menschen in das
System der Regelversorgung ist auch im Feld der Gesundheit oberstes Ziel. Daher
sind SPZs und MZEBs stets als wertvolle Ergänzung, nicht als Ersatz zum
Gesundheitssystem zu sehen – v. a. solange die Regelversorgung noch nicht
inklusiv umgestaltet wurde.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen-Anhalt fordern daher:
- ein Landesprogramm zur Förderung des barrierefreien Umbaus von ärztlichen,
psychotherapeutischen und zahnärztlichen Praxen sowie Apotheken, um die
Freiheit der Wahl von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen, aber auch des
Wohnorts, v.a. in den ländlichen Räumen, zu ermöglichen;
- Verpflichtung zur Barrierefreiheit beim Neubau und Neuzulassungen von
ärztlichen, psychotherapeutischen und zahnärztlichen Praxen sowie
Apotheken;
- Verpflichtung der Krankenhäuser zur Barrierefreiheit im Krankenhausgesetz
(KHG LSA);
- Umsetzung der nach § 17 Abs. 2 und 2a SGB I verpflichtenden Verankerung
angemessener Kommunikationsweisen, insbesondere im medizinischen Kontext;
- verpflichtende Verankerung angemessener Kommunikationsweisen (wie
Unterstützte Kommunikation, Leichte Sprache und Deutsche Gebärdensprache),
der Bedarfe und Belange von Menschen mit Behinderungen und/oder
chronischen Erkrankungen und eines Überblicks über die Beratungs- und
Unterstützungsmöglichkeiten in den Berufs- und Prüfungsordnungen
sämtlicher Heil-, Gesundheits-, Pflege-, Pharmazie- und Sozialberufen
sowie dem Lehramtsstudium, auf die das Land Sachsen-Anhalt Einfluss hat;
- Einrichtung einer Professur für Inklusive Medizin, um die Verankerung im
Studium als auch in der Forschung zu gewährleisten;
- kostendeckende Zuschüsse des Landes und damit eine verbesserte finanzielle
Ausstattung von Medizinischen Behandlungszentren für erwachsene Menschen
mit Behinderungen (MZEB);
- Sicherstellung gynäkologischer, psychiatrischer, psychotherapeutischer und
zahnmedizinischer Behandlungsangebote in Medizinischen Behandlungszentren
für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB)
- Bedarfsermittlung der Anzahl an Interdisziplinären Frühförderstellen
(IFF), Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) und Medizinischen
Behandlungszentren für erwachsene Menschen mit Behinderung (MZEB), um eine
ausreichende, wohnortnahe Bedarfsdeckung als Teil der Daseinsvorsorge in
ganz Sachsen-Anhalt sicherstellen zu können;
- Stärkung der Gesundheitsförderung von Kindern und Jugendlichen in
Kindertagesstätten und Schulen, wofür entsprechendes Personal vorgehalten
werden muss;
- Sicherstellung des gleichberechtigten Zugangs von Menschen mit Behinderung
zur notfallmedizinischen Versorgung (siehe "Aktionsplan für diverses,
inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen" des Bundesministeriums für
Gesundheit)
- dauerhafte Begleitung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in
Sachsen-Anhalt durch eine unabhängige Monitoring-Stelle, die zur
Evaluierung der Maßnahmen und der Veröffentlichung dessen auf ihrer
Internetseite verpflichtet wird.
Bei der Umsetzung dieser Forderungen sind Vertreterorganisationen für Menschen
mit Behinderung im Sinne der Mitsprache einzubeziehen. Unsere Forderungen
beziehen sich nicht ausschließlich auf die Allgemeinmedizin, sondern gelten auch
für Facharztpraxen. Dies kommt nicht nur Menschen mit Behinderung zugute,
sondern in einer alternden Gesellschaft perspektivisch allen Menschen in
Sachsen-Anhalt.